
Selektive Interne Radio-Therapie (SIRT)
Die Selektive Interne Radio-Therapie (SIRT) beziehungsweise Radioembolisation ist eine neuartige Behandlungsform für primäre und sekundäre Lebertumoren (das heißt Leberzellkrebs und Lebermetastasen), die sich als inoperabel erwiesen haben beziehungsweise nicht oder nicht mehr durch eine Chemotherapie behandelt werden können.
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SIRT bei Lebertumoren
Wie wirkt die SIRT?
Bei der SIRT werden winzige Glas- oder Kunstharzkügelchen ("Mikrosphären" mit einem Durchmesser von 20 bis 40 µm) durch einen Katheter in die leberversorgende Arterie injiziert. Der Blutstrom leitet sie in den Tumor weiter. Die Kügelchen enthalten eine radioaktive Substanz (Yttrium-90, einen Beta-Strahler), die nur wenige Millimeter weit ins Gewebe einstrahlt. Die Tumore werden so ausreichend stark, das umliegende Gewebe kaum bestrahlt.
Für den Transportweg nutzt man den Umstand, dass die Tumoren der Leber stärker von der Arterie durchblutet sind, das gesunde Gewebe dagegen vor allem über die Vene. Die über die Arterie geleiteten strahlenden Kügelchen konzentrieren sich so im Tumor.
Die radioaktive Substanz hat eine Halbwertzeit von 64 Stunden. Entsprechend dauert die interne Bestrahlung im Tumor mehrere Tage, in denen die DNA der Tumorzelle zerstört und die Teilung der Zellen verhindert wird. Ergebnis ist, dass das Tumorgewebe abstirbt.
In den Abbildungen 2 bis 5 wird die Wirkweise der SIRT zur internen Bestrahlung von Lebertumoren noch einmal verdeutlicht.






Welche Ziele hat die SIRT?
Die SIRT ist ein palliatives Therapieverfahren. Das heißt, wir möchten mit diesem Verfahren das Überleben unserer Patienten verlängern und ihre Beschwerden oder Symptome lindern. In der Regel erfolgt durch die SIRT keine vollständige Heilung.
Die Therapie gilt dann als erfolgreich, wenn die Krankheit in der Leber nicht mehr fortschreitet – in aller Regel also, wenn der Tumor nicht mehr wächst (Größenkonstanz). Gelegentlich kommt es auch zu einem Rückgang der Tumormaße und Tumormarker.
In Einzelfällen konnten wir auch schon erreichen, dass inoperable Stadien der Erkrankung in operable Stadien überführt wurden. Damit war es dem Chirurgen ermöglicht, anschließend die bösartigen Bereiche zu entfernen (1, 2).
Da die Prognose sehr von dem Primärtumor, der Tumorzellteilungsrate, dem Ausmaß der Erkrankung, der Leberfunktion und vielen weiteren Parametern abhängt, ist es schwierig, eine pauschale Aussage bezüglich des Überlebensgewinns zu machen. Bei Patienten mit hepatisch metastasiertem Darmkrebs zum Beispiel konnte im Vergleich zu einer alleinigen Chemotherapie durch die zusätzliche SIRT in 3 Studien ein verlängertes Überleben von 17, 3 beziehungsweise 5 Monaten festgestellt werden (5, 6, 11).
Welchen Patienten raten wir zur SIRT?
Die SIRT kann dann angewandt werden, wenn der Tumorbefall weitestgehend auf die Leber beschränkt ist, da die Therapie außerhalb der Leber nicht wirksam ist.
Tumorabsiedelungen (Metastasen) außerhalb der Leber, beispielsweise in Lymphknoten oder in der Lunge, bedürfen einer Therapie, die den ganzen Körper behandelt. Gelegentlich lassen sich andere Therapien, beispielsweise eine Chemotherapie, mit der SIRT kombinieren. Dies hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab, zum Beispiel der Tumormenge außerhalb der Leber, und ist jeweils individuell zu entscheiden.
Weitere Bedingung ist, dass etablierte Therapieverfahren weitgehend ausgeschöpft sind, so dass andere lokale oder systemische Therapien, wie Chirurgie, Chemotherapie, lokale Tumorablationen (Brachytherapie, Radiofrequenzablation/RFA), laserinduzierte Thermotherapie/LITT) voraussichtlich keinen Erfolg (mehr) verheißen.
Zudem muss die Leberfunktion noch ausreichend sein (gemessen an Laborwerten wie Bilirubin und Leberenzymen im Blut). Und in der Regel darf auch keine vermehrte Flüssigkeit im Bauchraum vorhanden sein.
Wie läuft die SIRT ab?
Vorher
Für die SIRT sind eine genaue Indikationsstellung und sorgfältige Vorbereitung erforderlich.
Zur Vorbereitung des Eingriffs werten wir die Krankengeschichte sowie die vorhandenen Diagnoseergebnisse aus, wie Schnittbilder einer Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT) und, falls vorhanden, PET-CT-Untersuchung (Positronenemissions-Computertomographie). Hierzu bitten wir um Übersendung der ausführlichen Krankengeschichte mit Auflistung der bereits durchgeführten Therapien und des Krankheitsverlaufes sowie möglichst aktueller Diagnosebilder.
Anhand der eingesandten Unterlagen können wir überprüfen, ob die wichtigsten Voraussetzungen für eine Radioembolisation erfüllt werden. Falls dies der Fall ist, werden die Patienten zur weiteren Besprechung und Vorbereitung in unsere Ambulanz für minimal-invasive Tumortherapie eingeladen.
Während
Die SIRT erfolgt in zwei Sitzungen:
Vorbereitung
Zunächst wird eine Angiographie (Gefäßdarstellung) durchgeführt. Sie gibt die Information darüber, ob die individuelle Gefäßanatomie überhaupt für eine SIRT geeignet ist.
Falls ja, werden im Rahmen dieser Angiographie Seitenäste der Leberarterie zu anderen Organen verschlossen, in die die radioaktiven Partikel nicht eindringen sollen. Dies könnte unerwünschte, möglicherweise schwerwiegende Nebenwirkungen (Magengeschwür, Bauchspeicheldrüsenentzündung etc.) auslösen. Der Verschluss dieser Gefäße erfolgt mittels kleiner Metallspiralen (Coil-Embolisation) und ist dauerhaft.
Im Anschluss wird ein schwach radioaktives Probematerial (Technetium-markiertes, makroaggregiertes Albumin, Tc-99m-MAA) in die Leberarterie injiziert und anschließend nuklearmedizinisch untersucht, um Kurzschlussverbindungen (Shunts) in die Lunge oder in den Magen und den Darm auszuschließen.
Zusätzlich führen wir im Rahmen des circa zweitägigen stationären Aufenthalts zur genauen Planung des Eingriffs eine CT durch.
Durchführung
Wenn sich nach Auswertung aller Untersuchungen keine Kontraindikationen für eine SIRT ergeben, erfolgt circa 1 bis 2 Wochen nach der vorbereitenden Sitzung die Verabreichung der Yttrium-90-Mikrosphären. Am Vortag des Eingriffs führen wir zunächst eine MRT-Untersuchung mit einem speziellen Leberkontrastmittel durch. Diese dient zur genauen Dosisbestimmung bei der Therapie. Bei dieser werden die Lebergefäße erneut bildlich dargestellt, eventuell neu entstandene Abflüsse verschlossen und dann die Yttrium-90-Mikrosphären langsam und gezielt über einen Zeitraum von 30 bis 60 Minuten verabreicht.
Der stationäre Aufenthalt erfolgt auf einer speziell ausgerüsteten nuklearmedizinischen Therapiestation. Abhängig vom klinischen Zustand kann der Patient in der Regel zwei bis drei Tage nach der Therapie entlassen werden.
Nachher
Jeweils nach 6 und nach 12 Wochen und danach alle drei Monate führen wir neben den Blutuntersuchungen eine MRT zur Kontrolle des Therapieerfolges ambulant in unserem Hause durch.
Sollte der Tumor im Krankheitsverlauf nach der Therapie wieder an Größe zunehmen, so ist in Einzelfällen auch eine erneute SIRT möglich. Im Fall von lokal begrenztem Wachstum kann auch ein anderes minimal-invasives Verfahren angewendet werden. Falls eine weitere Behandlung sinnvoll erscheint, wird diese Entscheidung individuell in Rücksprache mit Patient und behandelndem Kollegen getroffen.
Mit welchen Komplikationen muss der Patient rechnen?
Begleittherapie
Müssen regelmäßig Medikamente zur Herabsetzung der Blutgerinnung (Antikoagulanzien) genommen werden, so müssen diese vor der Angiographie ab- oder umgesetzt werden, um eine Blutung zu verhindern. In einem ausführlichen Aufklärungsgespräch vor stationärer Aufnahme wird der Patient darüber informiert. Die meisten Medikamente allerdings können vor und während der SIRT normal weiter genommen werden.
Eine Chemotherapie vor oder während der SIRT wird von uns aus zwei Gründen nicht favorisiert, obgleich es einige Studien dazu gibt (3-6):
- Viele Chemotherapeutika sensibilisieren das Lebergewebe für die Bestrahlung, so dass das Ausmaß der Behandlung und damit auch eine mögliche Schädigung des gesunden Lebergewebes nicht sicher vorhersehbar sind.
- Chemotherapeutika verhindern, dass die Tumorzellen in die Zellteilungsphase gelangen. In dieser Phase sind sie aber besonders sensibel für die Bestrahlung.
- Viele moderne Chemotherapeutika reduzieren die arterielle Durchblutung der Tumore. Dies hätte zur Folge, dass weniger Partikel über die Leberarterie in den Tumor gelangen und somit die Wirkung der Radioembolisation auf die Tumore vermindert wird.
Nebenwirkungen
Durch die Radioembolisation können folgende Nebenwirkungen auftreten:
- Häufig kommt es durch die Embolisation und den raschen Tumorzerfall in der ersten Zeit (1 bis 5 Tage) nach der Therapie zu grippeartigen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Gliederschmerzen, Fieber, Schüttelfrost und Oberbauchschmerzen. Diese Befundkonstellation wird im Allgemeinen als "Postembolisations-Syndrom" bezeichnet.
- Weiterhin kann es zu Nebenwirkungen durch die Bestrahlung wie Magenentzündung (Gastritis) oder Magengeschwüren (Ulcus) kommen.
- Zudem können als Folge der Angiographie Blutung, Bluterguss, Infektion, Allergie, Schock, Gefäßverletzung, Thrombose und Fehlembolisation auftreten.
- Sehr selten sind auch Lungenfibrosen oder Strahlenschäden an der Leber (radioembolization-induced liver disease, REILD) beschrieben (7). Diese Risiken werden durch die genaue Planung und Durchführung der Therapie sehr stark eingegrenzt.
Die häufigsten Nebenwirkungen werden durch eine medikamentöse Therapie vor, während und nach dem Eingriff effektiv verhindert, so dass es sich insgesamt um eine gut verträgliche Therapie handelt (8-10).
Fallbeispiel




Illustration der Behandlung bei einem 65jährigen Patienten mit Metastasen eines Dickdarmtumors in der Leber:
Literatur
- Inarrairaegui M, Pardo F, Bilbao JI, Rotellar F, Benito A, D’Avola D, et al. Response to radioembolization with yttrium-90 resin microspheres may allow surgical treatment with curative intent and prolonged survival in previously unresectable hepatocellular carcinoma. European journal of surgical oncology : the journal of the European Society of Surgical Oncology and the British Association of Surgical Oncology. 2012;38(7):594-601.
- Kennedy A, Coldwell D, Sangro B, Wasan H, Salem R. Radioembolization for the treatment of liver tumors general principles. Am J Clin Oncol. 2012;35(1):91-9.
- Hendlisz A, Van den Eynde M, Peeters M, Maleux G, Lambert B, Vannoote J, et al. Phase III trial comparing protracted intravenous fluorouracil infusion alone or with yttrium-90 resin microspheres radioembolization for liver-limited metastatic colorectal cancer refractory to standard chemotherapy. J Clin Oncol. 2010;28(23):3687-94.
- Sharma RA, Wasan HS, Love SB, Dutton S, Stokes JC, Smith JL. FOXFIRE: a phase III clinical trial of chemo-radio-embolisation as first-line treatment of liver metastases in patients with colorectal cancer. Clin Oncol (R Coll Radiol). 2008;20(3):261-3.
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- van Hazel GA, Pavlakis N, Goldstein D, Olver IN, Tapner MJ, Price D, et al. Treatment of fluorouracil-refractory patients with liver metastases from colorectal cancer by using yttrium-90 resin microspheres plus concomitant systemic irinotecan chemotherapy. J Clin Oncol. 2009;27(25):4089-95.
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- Golfieri R, Bilbao JI, Carpanese L, Cianni R, Gasparini D, Ezziddin S, et al. Comparison of the survival and tolerability of radioembolization in elderly vs. younger patients with unresectable hepatocellular carcinoma. J Hepatol. 2013;59(4):753-61.
- Salem R, Gilbertsen M, Butt Z, Memon K, Vouche M, Hickey R, et al. Increased quality of life among hepatocellular carcinoma patients treated with radioembolization, compared with chemoembolization. Clinical gastroenterology and hepatology : the official clinical practice journal of the American Gastroenterological Association. 2013;11(10):1358-65 e1.
- Salem R, Lewandowski RJ, Gates VL, Nutting CW, Murthy R, Rose SC, et al. Research reporting standards for radioembolization of hepatic malignancies. J Vasc Interv Radiol. 2011;22(3):265-78.
- Bester L, Meteling B, Pocock N, Pavlakis N, Chua TC, Saxena A, et al. Radioembolization versus standard care of hepatic metastases: comparative retrospective cohort study of survival outcomes and adverse events in salvage patients. J Vasc Interv Radiol. 2012;23(1):96-105.